Grundlagen
1. Der Solipsist
2.
Repräsentation ist eindimensional und Irreversibel
3. Der »mainstream« und die signifikante
Abweichung
4. Simplifizierung oder Wille, Willi,
Oberflächen
5.
Referenzpunkt
6. Dialog
7.
Leviathan
8. Download-Geschwindigkeit versus
Upload-Geschwindigkeit
9. Eins, Zwei, Drei
10. Begriffe
1. Der Solipsist
Der
Solipsist muss schizophren werden, um die
Unstimmigkeiten in seinem Weltbild zu verdrängen
(Verdrängung im psychologischen Sinn). Die Annahme
seiner Einzigartigkeit erzeugt einen Schatten, ohne
seine Ursache beschreiben zu können.
Der
Solipsist, wenn es ihn gäbe, wäre das atomos
(griech.) im wortwörtlichen Sinn. Er ist Unteilbar,
einzig und allein. Er beansprucht Ewigkeit, auch
wenn er sein eigenes Ende verdrängt und annehmen
muss, dass die Welt mit ihm ebenfalls endet. Der
Solipsist errichtet sich sein Weltbild nach den
eigenen Vorstellungen und ist dann gezwungen es
aufrecht zu erhalten, will er nicht die
Fragwürdigkeit seiner Position hinterfragen. Der
Begriff Solipsist existiert nicht. Er ist abgeleitet
aus Solipsismus. Solipsismus ist zusammengesetzt
aus solus ipse (lat.), »allein selbst« und meint:
nur die eigenen Bewusstseinsinhalte können
Wirklichkeit sein. Was ist Wirklichkeit in einem
geschlossenen System? Das System ist selbst und
Welt. Die duale Welt beinhaltet das Element Ich,
welches sich dadurch von der Welt unterscheidet,
dass es die Welt nicht vollständig selbst beinhalten
kann (Mengenlehre).
Das Selbst meint Ich in
seiner Unterscheidung zur Welt. Das Ich beansprucht
Bewusstsein. Der Solipsismus schließt jedes andere
Ich aus und rechnet es zur Welt gehörig. Das
Phänomen eines anderen Ich (selbst eines nur
denkbaren) mit Bewusstsein, ist Ursache für die
Unstimmigkeiten im Weltbild des Solipsisten. Sein
eigenes Bewusstsein ist offensichtlich nicht in der
Lage ein anderes Bewusstsein vollständig zu
beschreiben oder gar zu kontrollieren. Jedes andere
Bewusstsein versucht ebenfalls die Welt und damit
auch die in ihr möglicherweise vorkommenden Elemente
welche Bewusstsein beanspruchen, zu manipulieren.
Zum Beispiel: die Handhabung eines Handbuchs, eines
Datenspeichers ist Umgang mit der Welt, allerdings
sind diese Gegenstände von anderen geschaffen
worden. Jede eigene Reaktion bedarf ihrer korrekten
Vorhersage, um Bewusstseinsinhalt für den
Solipsisten zu sein. Ein anderes Ich müsste die
eigene Vorstellung von Welt und die eines
potentiellen Anderen so manipulieren, dass sie den
Erwartungen eines anderen Ich entspricht. In
dynamischen und in ihrer Komplexität unendlichen
Systemen wäre eine Vorhersage der tatsächlichen
Ereignisse nicht exakt möglich. Der Solipsismus
schließt den Wahnsinn nicht aus, ebenso wenig der
Dualismus. Der Solipsist kann sich ein anderes Ich,
wie den eigenen Wahnsinn, nicht vorstellen. Ihm
bleibt das anthropozentrische Weltbild, in dem die
Welt so ist, wie sie ist, weil der Solipsist als
einziger außer ihr existieren kann. Das egomane
Ich beinhaltet nur sich selbst. Ein biologisches
System könnte Dauerhaft sein, indem es sich Elemente
bedient die selbst keine Dauer und kein Bewusstsein
besitzen. Systeme besitzen kein Ich, sie sind
Bewusstseinsinhalte. Systeme sind Beschreibungen und
der Solipsist ist ein Kunstwort.
2.
Repräsentation ist eindimensional und Irreversibel
Eine Ikone ist heraus gehoben aus dem
Hintergrund und kann von allen Beobachtern gesehen
werden. Der Raum, in dem sie hineingestellt ist, hat
so viele Dimensionen, wie es aktuelle Betrachter
gibt. Jeder Beobachter erlebt sich selbst als
Einzelnen und das Objekt als einzelnes. Der
Beobachter behauptet von sich selbst ein Objekt zu
sein, welches von anderen Objekten durch seinen
speziellen Standpunkt abgegrenzt wird. An der
Spitze der Aufmerksamkeit steht die Ikone. Die Basis
bildet die Durchschnittsmenge aller möglichen
Betrachter. Ist die Ikone Stellvertreter eines
existierenden Menschen, ist dieser als Beobachter in
der umgekehrten Situation. Er kann die
Durchschnittsmenge quantitativ überblicken, jedoch
kein einzelnes Element heraus lösen, ohne seine
eigene Erscheinung zu ändern. Der Repräsentant
erkennt den Beobachter als Größe eines statistischen
Mittelwerts oder allgemein bekannter Stereotypen.
3. Der »mainstream« und die signifikante
Abweichung
Statistisch könnte ich den
sogenannten »mainstream« als die Menge aller Teile
bezeichnen, die identische Eigenschaften aufweisen
und den größten Teil einer Datenmenge ausmachen
(mainstream ist ein Wort aus der englischen Sprache
und bedeutet Hauptströmung). Im Vergleich zur
rein statischen, statistischen Menge ist
»mainstream« eine dynamische Menge, die ihre
hauptsächlichen Merkmale beibehält während sie sich
durch Raum und Zeit bewegt (Beispielsweise wäre ein
Soliton eine signifikante Abweichung in der
Strömung eines Flusses). Eine deutliche
(signifikante) Abweichung ergibt sich bei der
Erfassung von Teilen die einen Toleranzwert gerade
noch erfüllen und nicht dem Durchschnitt einer Menge
entsprechen (ich setzte hier Durchschnitt und
»mainstream« gleich). Das heißt: eine signifikante
Abweichung ist Teil der gesamten Menge, obwohl sie
nicht alle (oder alle) ihrer Eigenschaften aufweist.
Der Toleranzwert wird durch die Differenzierung bei
der Erfassung und einem Fehlerwert vorgegeben.
Messwerte selbst sind fehlerfrei, da sie einen
numerischen Eintrag durch Quantifizierung
darstellen. Die korrekte Interpretation der Daten
wird vorausgesetzt, sie ist nicht in den Daten
selbst enthalten. Es ergibt sich eine Diskrepanz
zwischen Daten und Auswertung, wenn die Daten
Menschen und ihre Eigenschaften darstellen sollen.
Wie soll eine Person die identisch ist mit dem
durchschnittlichen Ergebnis einer Auswertung, eine
signifikante Abweichung bewerten? Weißt eine
solche Abweichung auf einen Messfehler hin oder
gehört sich garsnicht in den Datensatz? Hat eine
solche Person die Kompetenz, die Legitimation seines
Wissens und die Befugnis, um ein Mess- und
Auswertungssystem in Frage zu stellen? Wenn
Menschen ihren Datensätzen entsprechen würden, dann
hätten sie keine individuelle Meinung, denn diese
wäre mit erfasst worden. Alle Aussagen, die eine
solche Person machen könnte, wären Zitate aus dem
Datensatz und somit allen anderen Personen schon
bekannt (das Wissen um den »mainstream«
vorausgesetzt). Ob eine signifikante Abweichung
einen positiven oder negativen Wert hat, ist für die
Statistik selbst unbedeutend. Eine signifikante
Abweichung stellt das Messsystem auf die Probe, ohne
dies zu beabsichtigen (Daten haben keine Absichten).
4. Simplifizierung oder
Wille, Willi, Oberflächen
Wenn der Dreitage-Bart so
aussieht, wie er heißt, der Kaffee durchgelaufen,
die Fluppe brennt, ein paar Bier im Kühlschrank
stehen, der Wein dekantiert, das Koks kleingehackt,
die Triebwerke gestartet, der Kamillentee in der
Thermoskanne und der richtige Soundtrack geloopt
sind, dann ist es Zeit für eine Runde mit dem
Blaumann. Ein wunderschönes, antikes
Kleidungsstück aus blauer Baumwolle. Das männliche
Gegenstück zur Kittelschürze und nur echt, wenn sich
Schmutzflecken selbst nach mehrmaligen Kochen in der
Waschmaschine nicht mehr entfernen lassen. Jeweils
eine aufgenähte Tasche links und rechts und an der
Brust eine Tasche für mehrere Kilogramm
Kugelschreiber, welche einen schmierigen Streifen am
unteren Rand der Tasche hinterlassen haben (nicht
das diese jemals gebraucht werden, viel wichtiger
ist es zu wissen wo sich, außer dem einen, noch
andere lebenswichtige Organe befinden könnten).
Dieser edle Mantel wird mit ein paar großen Knöpfen
zusammengehalten und endet stets oberhalb der Knie.
Rasiermesserschafe Bügelfalten machen es einfach ihn
zusammen zu legen und jahrzehntelang in einer
Hutschachtel auf dem Schrank einzulagern.
Warenwert als soziologische Identität. In was für
eine Scheiße bin ich hineingeraten und wie oft
stellen sich wie viele Menschen am Tag diese Frage?
Es gibt einen Unterschied zwischen Technik (siehe:
techné) und Instrument. Das eine sollte Mittel zum
Zweck sein (siehe: Ontologie), das andere das Ding
das dazwischen Ge-ge-gerät. Anders ausgedrückt: Der
Willi der einen Nagel, mit dem Daumen, in die Wand
drückt. Die Technik stellt auch Mittel zur
Aufzeichnung zur Verfügung. Der Willi (sprich:
Wille), will ein Bild an die Wand hängen. Wer hätte
das gedacht, er will sich mal wieder durchsetzen.
Der Musiker greift zum Instrument, jagt einen
Ton durch die Aufnahmekette und belegt damit, dass
er (zumindest im Moment) kein Chirurg ist. Die
Aufzeichnungstechnik macht es möglich die eigene
Vorstellung mit der aktuellen Vorstellung einer
Aufzeichnung zu vergleichen und damit der ewigen
Annäherung an die Null (oder Eins) eine weitere
Kommastelle hinzu zu fügen (s. o. »mainstream«).
Das macht der Willi nicht. Er ärgert sich, weil ihm
das Bild ständig von der Wand fällt und sucht nach
einem größeren Nagel. Das wird ihn bald vom Hammer,
zur Bohrmaschine, zum Presslufthammer und in letzter
Konsequenz zum Bagger, bringen. Der Willi bevorzugt
finale Lösungen, soll die Nachwelt davon halten, was
sie kann – ohne ihn. Die Töne des Musizierenden
werden vom Doppelspaltexperiment der Idealisierung
(siehe: Quantifizierung, Dynamik, Raum- und
Zeitprojektion) zu »samples« zerlegt. Diese
Kostproben zufällig herbeigeführter Affekte, dienen
komprimiert und weichgespült zur wohlgefälligen und
stuhlfördernden Beschallung des Warenlagers. Willi
bedient die Bohrmaschine, die Fernbedienung und
entsprechende »Weichware« mit der ihm eigenen
Virtuosität ohne das ihm das je bewusst würde.
Es gibt auch bei der Aufführung von Musik und
Sprache Nebengeräusche, diese werden aber von der
Aufführung integriert und sind somit keineswegs
zufällig zu nennen. Das ist dem Willi völlig Wurst.
Während er in der Warteschlange der weiblichen und
männlichen Blaumänner wartet, zieht er eine Stulle
aus der rechten Tasche seines eigenen Blaumanns. Das
Geräusch zeichnet sich vor allem durch seine
Zufälligkeit aus. Sind die Geräusche beim Kauen
persönliche Erinnerung oder Information, wenn sie
aufgezeichnet werden (s. o. Solipsist)? Der Willi
nickt uninteressiert und wendet seine Aufmerksamkeit
dem Gerät zu. Er legt eine große Anzahl desselben
auf das Kassenband. Dübel, Allzweckschrauben,
Schlagbohrer, Brechstange, Zement und zückt seine
speckige Brieftasche aus einer Gesäßtasche. Willi
trägt Hosen, deren ausgewaschene Farbe sorgfältig an
die seines Blaumanns angepasst sind. Willi ist noch
nicht auf die Idee gekommen sein Haus abzureißen,
weil ihm die Wände zu dünn sind, weshalb – vorläufig
– noch der Bestellschein für die Abrissbirne fehlt.
Weil der Soundtrack im Baumarkt geloopt wurde
(»loop« ist ein Fachbegriff und nur der wahre
Meister weiß eine perfekte Schleife vom Knoten zu
unterscheiden) und sich deshalb endlos wiederholen
wird, sofern das Gerät und die Energie solange
ausreichen, macht sich die Inhaltslosigkeit reinen
Rauschens bemerkbar. Beim Blick in die Augen der
Verkäuferin wird Willi schlagartig klar was eine
signifikante Abweichung sein könnte. Er schleppt
das Zeug nach Hause. Er nimmt das Bild vom Boden,
kann keine Ähnlichkeit feststellen und erkennt, dass
er vergessen hat das Namensschild an der
Oberbekleidung der Verkäuferin zu lesen, geschweige
denn aufzuzeichnen. Nachdem er alle
Kabelverbindungen, Schalter, Pegelstände und
Treiber, in unveränderlicher Reihenfolge, abgeklopft
hat, betätigt er den finalen Hauptschalter. Kurz
fällt die Spannung im ganzen Viertel ab. Er wartet
exakt 10 Sekunden, um Spannungsspitzen in den
Kondensatoren zu vermeiden und betätigt nochmals den
Hauptschalter. Danach legt er den Blaumann wieder
sorgfältig in die Hutschachtel zurück und geht
schnellen Schrittes aus dem Haus.
5.
Referenzpunkt
Normalnull war einmal die
amtliche Bezugsfläche für Höhen über dem
Meeresspiegel, was den Begriff zur allgemeinen
Verunstaltung freigibt. Normalnull bildete einen
Horizont auf einer idealen Oberfläche, welche diese
zu oben und unten teilte. Normalnull gibt an ab wann
und wo etwas unter der Oberfläche verschwindet oder
sich darüber erhebt. Trotz Normierungen und
überflüssiger Kommastellen bleibt die Oberfläche
vage. Wenn die ewig währende Gegenwart mir schon
bekannt vorkommt, ist sie schon vorbei; kenne ich
sie noch nicht, mache ich ein X und kein Oval.
Die Ziffer Null wird eiförmig dargestellt: 0, obwohl
eine Knolle die angemessene Hülle wäre. Mit kleinen
Quadraten (sog. Pixel) ist die Null schwierig
abzubilden (siehe: Quadratur des Kreises). Die
Null balanciert auf einer imaginären Spitze in einer
fiktiven Leere. Wenn sie sich nicht öffentlich zum
Affen macht, dann wechselt sie den Namen: Zero,
Vakuum, Nirwana und so weiter. Auf die Frage »Ist
was?« ist »Nichts« die Antwort. Zwischen positiven
und negativen Werten, zwischen hier und dort, stellt
die Null das Vorhandensein des Nicht-Seins dar.
Im Sprachgebrauch ist alles normal worüber, ein
meist unausgesprochener, Konsens herrscht. Die
normale Null ist Massen-kompatibel und bewegt
sich taumelnd von einer Wand zur anderen, was gerne
als Fortschritt gesehen wird, ohne jemals das ideale
(ehemals amtliche) Niveau erreichen zu können: Null.
Die Erde (der Planet) ist keine ideale Kugel,
denn die exakte Bestimmung der Kreiszahl Pi (π =
3,14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288 41971
69399 37510 58209 74944 59230 78164 06286 20899
86280 34825 34211 70679 …) wird nie ein Ende
erreichen. Ein normaler (d. h. gebräuchlicher) PC
macht bei der 16. Kommastellen zufällig mehr als
Null. Die Buchhaltung kennt nur vier Kommastellen.
Automaten rechnen mit Nullen und Einsen. Irgendwie
ist die Null immer dabei: Unsichtbar, unbemerkt,
Inhaltslos. Der Referenzpunkt für numerische
Messwerte ist ein Nullpunkt (siehe: Wikipedia).
Alles fängt beim Nullpunkt an, ohne das dieser
Ursache für irgendetwas wäre. Die Null bleibt was
sie ist: Oberfläche ohne Inhalt. In Null Komma
nichts ist sie aus der Aufmerksamkeit verschwunden
und kreist um sich selbst. Es
helfen keine selbst erfüllenden Prophezeiungen,
selektive Wahrnehmungen und Störungen im
sensorischen Bereich über den Schwellwert
(threshold) hinweg: Null. Keiner weiß, ob das
Gras wachsen zu hören ist, wenn eine Billiarde
Nullen über den Bildschirm kullern. Ein so kleiner
Bruchteil hat keine Verantwortung, aber jede Menge
Referenzen. Obwohl die Null keinen Wert hat, sollte
sie eine feste Position haben im Raum des
Imaginären. Geschwätz jedenfalls ist die Rede ohne
Konsequenzen und Rauschen (noise) ist Klang ohne
Modulation. Ohne Zahlen vor oder nach ihr ist die
Null nichts und Null dBu sind etwa 0,7746 Volt.
6. Dialog
Epimenides liegt
in seiner Höhle und döst vor sich hin. »Hm,
alle. Ja, alle ist gut.« Epimenides dreht sich
auf die andere Seite seines Strohsacks. Flöhe
springen auf. Staub flirrt in der Luft. Licht fällt
durch den schmalen Eingang zu seiner Höhle.
»Alle Kreter sind …« Er hält inne und denkt
lange nach. »Woher soll ich wissen ob gerade
alle Kreter sind?« Er wälzt sich mit
geschlossenen Augen auf den Rücken und liegt
stundenlang reglos da. Dann setzt er sich auf, wühlt
sich in den Haaren und ruft: »Alle Kreter sind
Lügner. Genau.« Epimenides sinkt sichtlich
erschöpft auf sein Lager zurück. Es macht einen
kleinen Knall und eine Rauchwolke steigt neben
seinem Strohsack bis zur Höhlendecke auf. Epimenides
hat die Augen aufgemacht. Er sieht sichtlich
gelangweilt zu, wie sich der Dunst langsam verzieht.
Ein alter Mann taucht aus den Schwaden auf und ruft
aus: »Wo bin ich?« Epimenides antwortet
lakonisch: »In Kreta wo sonst. Wer sind Sie?«
Homer schüttelt den Kopf. »Kein Kreter,
soviel steht fest. Dennoch würde ich behaupten das
mein Ruhm mir stets voraus eilt. Oder wollen Sie
behaupten sie hätten nie von meinen unsterblichen
Epen Odyssee und Ilias gehört?« Diese Art der
Rede ist ganz nach Epimenides Geschmack und er
erwidert: »Was nicht heißt, dass Sie kein Lügner
sind. Mir sind die Inkonsistenzen in Ihrer Odyssee
durchaus nicht entgangen.« Homer tut die Worte
mit einer schnellen Handbewegung ab. »Kleinasien
also. Man kommt schon herum. Inkonsistenzen! Es
kommt darauf an wie oft man seine Story wiederholt.«
Epimenides klopft sich etwas Stroh hinter den
Rücken, um bequem halb aufrecht zu liegen. »Sie
wollen also andeuten Sie hätten bei Ihrem ersten
unsterblichen Epos noch geübt.« Homer sieht
Epimenides mit gespieltem Erstaunen an.
»Quatsch, das tue ich andauernd. Aber die Leute
wollen immer nur die Ilias hören. Namen, Namen,
Namen. Da brauche ich nur hin und wieder eine kleine
Schlachtplatte einzufügen. Odysseus aber schürte
Ihren Neid. Er schreckte nicht davor zurück sich mit
den Göttern anzulegen.« Epimenides kratz sich am
Kopf und zerquetscht einen Floh.
»Schlachtplatte?« Homer macht ein paar schnelle
Bewegungen, so als würde er ein paarmal mit einer
Axt zuschlagen. »Abgetrennte Gliedmaßen.
Nierchen am Spieß. Leber in kleinen Scheiben. Hirn
zum Auslöffeln und so weiter. Odysseus war doch kein
gewalttätiger Mensch.« Epimenides läuft das
Wasser im Mund zusammen. Speichel tropft von seinem
Kinn. »Kuttelflecken, nicht zu vergessen.
Trotzdem: ein Lügner. Wer hat das schon, eine Frau
die ewig auf ihn wartet? Während der Gemahl kein
Abenteuer auslässt.« Homer hebt in gespielter
Verzweiflung die Hände: »Das Publikum liebt
Paradoxien.« Epimenides schüttelt den Kopf.
»Wenn ein Lügner behauptet er lügt, sagt er die
Wahrheit.« Homer deutet mit dem Zeigefinger auf
Epimenides. »Ein Mann der sowenig auf seine
soziale Reputation hält, legt Wert auf das Hören und
sagen?« Epimenides entgegnet mürrisch: »Was
sonst?« Homer zieht die Stirn in Falten.
»Abschriften, zum Beispiel. Immerhin wurden Sie ein
paar Mal zitiert. Ihr Trugschluss hat die Leute
lange beschäftigt. Das ist schon mal eine Anmaßung.
Die Unsterblichkeit, Sie verstehen.« Epimenides
schlägt so auf seinen Strohsack, dass das Ungeziefer
auffliegt. »Alles Unfug. Falsche Sparsamkeit,
Übersetzungsfehler. Spekulationen.« Homer macht
eine umfassende Armbewegung. »Na ja, es ist
nicht so schwierig sich alle Namen auf einer kleinen
Insel zu merken. Was wundert’s wenn da ein paar
klitzekleine, unbedeutende Schlachten unter den
Tisch fallen. Sie haben nicht einmal einen Tisch.«
Epimenides zappelt auf seinem Strohsack herum.
»Alle. Alle. Alle. Lügner. Lügner. Lügner.
Immer. Immer. Immer.« Homer lächelt dünn.
»Eine Falschaussage. Deshalb wohl die Höhle.«
»Geschichtenerzähler« faucht Epimenides zurück.
Homer senkt beschwichtigend die Stimme. »Wenn
Sie behauptet hätten, dass Ihre Kreter manchmal
lügen, dann hätten Sie die Wahrheit gesagt.«
Epimenides schüttelt den Kopf und ballt die Fäuste.
»Und wie klingt das: Manchmal? Das sind nicht
meine Kreter. Die Götter tun und lassen was sie
wollen.« Homer seufzt. »So ist mir das mit
meiner Odyssee auch ergangen. Wenn ich nur nicht
dieses ungeheurere Gedächtnis hätte, vor allem für
Namen. Möchten Sie zur Entspannung ein paar gut
erfundene Namen aus meiner Ilias hören?«
Epimenides lässt sich in seinen Strohsack zurück
fallen und reibt sich die Augen. »Gerade mein
Mitgefühl und mein außerordentliches Gewissen
brachten mich dazu alle zu sagen. Ich habe mich aus
angeborener Höflichkeit dazu entschlossen, mich zu
dieser Menge zu rechnen.« Homer entgegnet
blitzschnell. »Ihr hätte genügt.« Epimenides
klatsch sich in die Hände. »Genau, um eine
Teilmenge außerhalb der Menge aller Mengen zu sein.«
Homer sieht sich in der Höhle um. Er klopft mit
dem Knöchel an den Fels, scharrt mit den Sandalen im
Unrat und stochert schließlich mit einem Stöckchen
in der kalten Feuerstelle. »Ach, lassen wir
dieses unerquickliche Thema: die Namenlosen. Mir
sieht es hier nicht so aus, als hätten Sie oft
Besuch.« Epimenides Bauch knurrt. »Meine
namenlose Aufwartefrau ist heute noch ist
erschienen. Aber dafür Sie! Himmel, Zeus und Zwirn,
wo haben Sie Ihre Geschichten her?« Homer
murmelt: »Man kriegt so einiges zu hören.«
Epimenides macht eine wegwerfende Handbewegung.
»Das ist das beste am Nachruhm: man hat absolut
nichts davon.« Homer hat sich von der
Feuerstelle aufgerichtet und klopft sich imaginären
Ruß vom Oberkleid. »Lügen ist ein
relativistisches Konzept, jeder Schafhirte kennt
unzählige Möglichkeiten ein X für ein U zu machen.«
Epimenides sieht flehend zur Höhlendecke auf.
»Es wundert mich nicht, dass Sie über Dinge
reden, die Sie nicht kennen können.« Homer stößt
ein kleines Lachen aus. »Oh, mein Lieber, mein
Dämon lebt außerhalb der Zeit und flüstert mir Dinge
zu die ich nicht verstehe. Meistens kann ich mit den
Einfällen der Götter wenig anfangen.« Epimenides
stöhnt. »Daimonion, Schüttelfrost oder Wein, wer
weiß das schon.« Homer beugt sich etwas zu
Epimenides hinab und sagt mit Kinderstimme:
»Dialoge sind eine uralte Sache.« Epimenides
brummt zurück: »Das wohl. Aber ist ein
erfundener Dialog nicht doch nur ein Monolog und
deshalb wieder nur eine Lüge?« Homer schürzt die
Lippen und kaut ein wenig auf dem Gedanken herum.
»Das Publikum liebt Lügen.« Epimenides fährt
auf: »Das Publikum. Wollen Sie sagen Sie hätten
es jemals gesehen?« Homer winkt ab.
»Teiresias war blind. Gut, in den allgegenwärtigen
Rauchschwaden ist auch nicht viel mehr zu erkennen.
Anbiederung erhöht das Selbstwertgefühl und
verdrängt den Gedanken an einen Hohlraum.«
Epimenides wühlt sich tiefer in seinen Strohsack.
»Wenn ich nur ein paar Schritte weiter gegangen
wäre und einen sauberen Syllogismus hingelegt
hätte.« Homer macht ein paar mahnende Geräusche.
»Sie eilen Ihrer Zeit voraus. Noch bestimmen die
Götter unser Schicksal und nicht die Deduktion oder
gar Zufallszahlen.« Epimenides schließt die
Augen. »Ich glaube, es ist besser, ich schlafe
noch ein paar Äonen.« Homer strafft die
Schultern und winkt zum Abschied. »Immerhin wird
man sich an Sie erinnern. Auch ich muss jetzt wieder
verschwinden. Das Publikum. Ich hoffe, meine Lyra
ist gestimmt und die Amphoren gut gefüllt.«
Anmerkung:
Epimenides
lebte im 6./7. Jahrhundert v. Chr. in Knossós
auf Kreta und in Athen. Sein berühmter Satz
lautet vollständig: »Alle Kreter sind Lügner und
alle von Kretern aufgestellten Behauptungen sind
Lügen«. Homer lebte ca. ende des 8. Jahrhunderts
v. Chr. Teiresias ist ein mythologischer Seher,
hat also nie gelebt.
7.
Leviathan
Wer
bei Leviathan an einen überdimensionalen
Heringskönig (Zeus faber) denkt, liegt nicht völlig
falsch. Das Kochbuch (Ausgabe 1980) hält ihn für
einen alttestamentarischen Chaosdrachen, für ein
Ungeheuer oder Krokodil der Dichter und erwähnt auch
Thomas Hobbes: Leviathan, ore The Matter, Forme &
Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall an Civill.
(Erstausgabe: London 1651). Zeus faber, Zeus
father wäre ein gutes Beispiel für eine sogenannte
Freudsche Fehlleistung, der Heringskönig, allein
macht aber noch keine richtige Suppe. Wir
nehmen: rote und braune Drachenköpfe (Rascasse,
Unterart der Skorpionfische aus der Familie
Scorpaenidae, Caput draconis), Seeteufel (Lophius
piscatorius), auch Anglerfisch, Lotte oder Baudroie
genannt, ist ein Fisch aus der Ordnung der
Armflosser, Seehechte (Merlucciidae) sind eine
Familie in der Ordnung der Dorschartigen
(Gadiformes), sowie Rotbarben (Mullus barbatus),
Merlan (Gadus merlangus) und Herzmuscheln
(Cardiiden). Es darf entschuppt, gehackt und
filetiert werden. Alles was beim Fisch festes
Fleisch hat, Olivenöl, Knoblauch, Zwiebeln, Tomaten,
Fenchel und Safran hinein den großen Topf.
Krokodil passt, kleingehackt, vorzüglich in die
Suppe, aus der Haut lassen sich bekanntlich hübsche
Accessoires anfertigen. Ungeheure Fischschwärme
lassen sich heutzutage am besten mit Suchmaschinen
und in Datenbanken finden. Schwimmt da nicht
gerade ein Leviathan durch den Quantenschaum? Der
ist im Container und eisgekühlt gerade günstig zu
bekommen (Lieferung frei Haus und gegen Vorkasse).
Im Multiversum ist alles möglich und Virtuell
alles was sich zählen lässt. Herr Hobbes hielt
offenbar die Größe seines Leviathans für
Unüberschaubar. Er hat wohl nicht mit den heutigen
Rechenmaschinen und Quantenfluktuationen in
Datenspeichern gerechnet, ganz abgesehen vom
Haltbarkeitsdatum. Was wenn Leviathan sich in
den letzten Jahrhunderten verändert hätte, wenn er
zum Gesetz der großen Zahl angeschwollen wäre, mit
seinem Anwachsen die singuläre und signifikante
Abweichung dazustellen versuchte? Eine
versalzene Fischsuppe? Niemals! Nicht nachdem ich
kräftig mit einigen Hektolitern Weißwein abgelöscht
habe. Bei deutlich über minus 270,45 Grad Celsius
eine Weile vor sich hin köcheln lassen. Danach alles
gut umrühren und heiß zum Kartoffelbrei servieren.
8. Download-Geschwindigkeit versus
Upload-Geschwindigkeit
Es
liegt ja immer an der Sprache, gerade beim Film.
Naiv zu denken es ginge nur um Bilder. Sehen Sie
sich doch mal die Untertitel an. Beim scannen der
Bildbestandteile wird der fremdsprachliche Ton
gleichsam zum Gesang der Engel. Jene Engel welche
stets in die Vergangenheit blicken, während ein
Sturm sie in die Zukunft treibt (oder war es nur ein
Lüftchen? Weiteres, zum Beispiel, bei Walter
Benjamin). Lassen Sie sich die Netzhäute von den
neuesten Effekten massieren und dabei die
Mehrkanal-Lautsprecher hüpfen, irgendwann werden sie
feststellen, dass Ihre Fremdsprachenkenntnisse nicht
ausreichen, um irgendeinen Sinn aus dem Gebotenen zu
entnehmen. Zwar mag es durchaus sein, dass so
manches Werk in seiner Ausführung – nun eben –
ungenügend daherkommt. Beim Fortschreiten der Zeit
ergibt sich doch die Frage nach dem Sinn solcher
Aufführung, will man sich nicht mit dem ewigen
halben Dutzend Emotionen begnügen.
Was wäre da also besser geeignet als ein Engel auf
Bildschirm oder Leinwand, welcher verständliche
Worte in die Gehörgänge flüstern würde? Ich weiß, es
soll auch helfen sich einen Goldfisch in das Ohr zu
zwängen. Doch, welch ein Ach und Weh (man denke hier
an die antike und griechische Tragödie), wenn der
Vogel in verständlicher Sprache versuchte nur Sinn
zu simulieren.
Es
ist also doch angeraten, zusätzlich die Worte des
Götterboten von zuverlässiger Stelle zertifizieren
zu lassen, nach deren eigenem Gutdünken und –
selbstverständlich – in die eigene Sprache. Schon
haben die optischen Sensoren ihren Spaß an den
schönen Ornamenten unbekannter Schriftzeichen und
die Ohren Vergnügen an verständlichen Gebrabbel.
Nur der Unerschrockene holt ein
Multifunktional-Allzweckmesser (rostfrei und nur
echt, wenn in einem Land mit hohen Bergen
hergestellt, wegen der Untertitellosen Bildwirkung)
aus der Tasche, schraubt den Deckel von seinem
Handschmeichler, verliert sich im Geschwafel
maschinell übersetzter Handbücher und führt
Anweisungen aus die schon antike Götter, bis zur
Verzweiflung hätten treiben können, um schließlich
dann doch die fremden Untertitel als Bordüre zu
betrachten. Vom Sehnerv geht es bekanntlich direkt
zur Innenwand des Hinterhauptknochens.
9.
Eins, Zwei, Drei
Was hat eine
Dreistellige Zahl für eine Bedeutung? Eine Pin.
Ein Zugangskode. Ein Countdown. Eine Abkürzung für
eine unendliche Zahl, wie zum Beispiel Pi. Eine
Menge von Reiskörnern in einen Sack. Drei Zahlen
sind eine Zahlenkombination. Die Wiederholung
von drei gleichen Zahlen ist ziemlich Einfallslos
für eine Pin und als Zugangskode nutzlos. Nur eine
Wiederholung. Zahlen sind Symbole für Werte. Ihr
Aussehen hat nur selten eine Entsprechung in der
Realität: Haken, Winkel, Kreise und Spiralen, zum
Beispiel. Vor dem Tausendsten Idioten kommen
Neunhundert Neunundneunzig Versager. Drei
gleiche Zahlen rückwärts zu lesen ergibt keinen
Sinn. Ihre Werte bleiben gleich. Ein hübsches
Spiel ist die Quersumme zu errechnen: Dreimal
Eins macht Drei. Dreimal Zwei macht Sechs. Dreimal
Drei macht Neun und so weiter. Eine weitere
Zahlenreihe. Eine Zahlenreihe kann positive und
negative Werte annehmen. Zahlen können in
Beziehung zu anderen Zahlen größer oder kleiner
sein. Zahlen können sich auf Null und Eins
beschränken und doch hoch komplexe Rechenoperationen
auslösen. Viele Menschen halten Zahlen für
langweilig, wenn sie nicht die Höhe des eigen
Kontostands angeben. Es ist möglich Zahlen mit
Emotionen zu belegen. Quantifizierung. Musiker reden
von Ticks per Beat. Man kann mit Zahlen zählen,
die Zeit messen, Flächen und Mengen bestimmen und
man kann mit Zahlen Numerologie betreiben, was ich
für reinen Unfug halte.
|
10.
Begriffe
Begriffe
werden mit Wörtern bezeichnet, wenn diese sich erfolgreich
gegeneinander abgesetzt haben und ihre Eigenschaften
beschrieben wurden. Ich gehe im weiteren davon aus, dass
rhetorische Fragen als solche erkannt werden können und wäre
an dieser Stelle schon für den Einsatz von Spezialeffekten
gewesen.
Wörter
sind Symbole für grammatische Einheiten. Sie entstehen durch
Handlungen und ihre Wiederholung. Schlimm genug, dass die
Wörterbücher dennoch immer dicker werden, sie differenzieren
sich in Sprachen, Familien, bis zu Müttern. Alles das ist zu
leisten, ohne die genaue Bedeutung der Dinge zu kennen. Das
Ding ist ein Rätsel wie die Welt, beide bedürfen der
Deutung. Die Benennung wird in der Schrift zum Begriff. Der
Begriff lässt sich normieren.
Sehr
schön, wie der Bodennebel durch eine Vertiefung kriecht.
Dunst über dem Bewuchs in einen Perlmutterfarbenen Himmel
aufsteigt. Die Aussicht sich schließlich in eine scheinbar
endlose Geröllhalde weitet. Es das Pronomen des Panoramas.
Willkommen auf der ewigen Baustelle des Kontextes. Der
Kontext ist ein Begriff. Üblicherweise wird mit
Definitionen, Übersetzungen, Sinn, Implikationen,
Bedeutsamkeiten, Kausalitäten, Zeichengebungen und, vor
allem, Vermutungen gearbeitet. Es gilt allgemein anerkannte
Bescheinigungen auszugraben aus dem allgemein Bekannten. Je
mehr Goldsucher ihre Schüssel am Yukon schwenken, desto
geringer die individuelle Wahrscheinlichkeit die Zukunft in
Edelmetall zu verblenden. Wer seine Sinne zusammen hat, wird
die Implikationen erkennen. Hier, ausnahmsweise, mal keine
Verfolgungsjagd. Kein in Zeitlupe zerbröselndes Blech. Keine
farbenfrohen Explosionen. Nicht das Erkennen viel weiter
bringt als Sinn. Einsichten und Erfahrungen gibt es sowohl
in der rekonstruierten Vergangenheit, als auch in der immer
potenziellen Zukunft zu finden.
Es ist
an der Zeit den Protagonisten aus der Kiste zu holen. Im
engeren Sinn ein Behältnis aus Holzbrettern. Im weiteren
Sinn durchaus ein Fahrzeug mit imposanten und altertümlichen
Verbrennungsmotor und richtig breiten Reifen. Die
Spezialeffekte illuminieren das antiquierte Gerät mit
rauchenden Gummi und brennenden Auspuffgasen. Man könnte die
Kamera auch willkürlich durch die Luft wirbeln. Nicht mein
Gebiet. Ich weiß.
Gibt es
männliche und weibliche Wörter? Natürlich, wie auch alle
anderen Denk- und Undenkbare. Ich gebe zu, die Kurve war
etwas eng, immerhin ich bin damit bei den Kurven angekommen
und kann mich dem Versuchsobjekt zuwenden. Der Simplizität
wegen, habe
ich mich für ein männliches
Versuchsexemplar entschieden, was das hohe Aufkommen von
Y-Chromosomen belegt. Bitte entnehmen Sie dies der,
irgendwo, ausliegenden Tabelle.
Das
Terrain, der Kontext, wurde sorgfältig mit der
desinfizierten Harke vorbereitet. Kies, in konzentrischen
Kreisen um einen kleinen Brunnen herum, verteilt, ohne auch
nur eine Orchidee zu verletzen oder gar das Plätschern zu
übertönen. Die Reagenzgläser sind blitzblank poliert. Der
Defibrillator liegt bereit. Die Zangen und Sägen geölt. Die
Folterbank vorschriftsmäßig gereinigt. Ein geblümtes
Kopfkissen sorgfältig in Form geklopft.
Ich
nehme dem Versuchsexemplar den Maulkorb ab. Wonach, außer
nach Begrifflichkeiten, dürstet es diesem Lebewesen? Es gibt
Begriffe, die sind allgemein bekannt für ihre Unschärfe. Das
Versuchsexemplar hat damit kein Problem, solange man es
selbst im engeren und weiteren Sinne als männlich begreift.
Es verlässt damit den Bereich der Objektivität zugunsten
einer Behaupteten Subjektivität. Was für ihn, seiner Meinung
nach, zutrifft. Ergo, da er sich in diesem Fall für
Exemplarisch halte, er sich deshalb zu weiblichen Eigennamen
hingezogen fühle.
Gelegentlich bellt der Begriff des Hundes doch. Eigennamen
im engeren Sinn? Vor- oder Nachname? Titel oder eine Berufs-
oder Verwandtschaftsbezeichnung? Ganz Allgemein? Verbrieft?
Durch Anzahl? Intelligenz? Nicht nur Laurence Sterne suchte
nach dem vorderen oder hinteren Ende der Syntax. Das
Versuchsexemplar würde im Fall des Falles ad Hoc entscheiden
oder es notfalls mit alkoholischen Getränken versuchen, auch
bei der Probandin, wenn es nicht anders geht, hoch dosiert.
Das ist
einer der Gründe, warum ich das Versuchsexemplar nicht von
der Leine lasse. Oh, du Optimismus der Jugend. Ach, du
naiver Glaube an den Mittelpunkt der Unendlichkeit. Weh, dir
dem unerschütterlichen Vertrauen in Updates. Ich lasse eine
wortgewaltige Rede über die Unwissenheit, der Kürze halber,
weg. Obwohl die hübsche Kutte, das gotische Gewölbe und der
unnachahmliche Regen in Innenräumen, das ihrige zum Kontext
beigetragen hätten. Leider eignen sich langweilige und
ausschweifende Reden nicht für Spezialeffekte.
Das
Versuchsexemplar hat sich fortwährend nach dem Verbleibt der
weiblichen Versuchsperson erkundigt. Das ergab sich aus der
Übersetzung der Laute, welche das Versuchsobjekt in der
Kiste abgegeben hatte. Sabber ist dem Laborkittel auch nicht
gerade zuträglich. Hände weg! Das habe ich mir gedacht,
Begriffe und sofort greifen wollen.
Ich meine, natürlich habe ich
nichts gedacht, das stört die systematische Beobachtung.
Sehen Sie selbst! Hier ganz unten in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, fünf Punkt Schriftgröße, Sütterlin.
Da! Sütterlin ist kein neues Wort, es ist die Bezeichnung
für eine Schriftart. Klar, kein einziges Emoticon. Eine
zackige Schrift für zackige Zeiten. Der Punkt ist auch kein
Punkt! Nein! Punkt, genauer gesagt ein typografischer
DTP-Punkt, meint eine
Größe! Für den Laien reicht ein Näherungswert aus: Pi mal
Fensterkreuz, etwas mehr als ein drittel Millimeter. Was
haben Sie gedacht! Ich schreie doch nicht! Nein! Der Versuch
beinhaltet die emotionale Beteiligung des Versuchsleiters.
Hier: Im engeren Sinne bezieht sich Interaktion nur auf
verbale Akte. Was wollen Sie mit einem
Rastertunnelmikroskop!
Akte!
Ich schlage die sprichwörtlichen Hände über dem Kopf
zusammen: Kausalitäten! Ich habe das Versuchsexemplar von
der Leine gelassen. Wo ein Bett ist, da ist eine Matratze.
Mit solchen Analogien kennt sich das Versuchsexemplar aus,
wie aus dem Kontrollblatt zu entnehmen ist. Ich finde es
bestimmt gleich.
Blitzschnell reiße ich die aufblasbare Gummipuppe aus dem
Notfallschrank. Natürlich hat wieder niemand daran gedacht
die Pressluftflasche zu füllen. Der Verschlussnippel an der
mit Luft zu füllenden Kunststoffhülle ist aus transparenten
und sehr rutschigen Kunststoff gefertigt. Das
Versuchskaninchen hat längst das Labor vollständig
durchsucht, während mir der Nippel ständig von den Lippen
flutscht und die Luft aus der oberflächlichen Nachahmung
einer Probandin zischt. Mit geblähten Nüstern umkreist mich
das Versuchsexemplar. Beim Luftmatratzen aufblasen war ich
immer letzter.
Es
schnüffelt an meinem Revers herum. Im weiteren Sinn
tierisch. In engeren Sinn artspezifisch. Ganz allgemein will
mir das Versuchsexemplar nur seine Zuneigung zeigen. Genau
genommen wird es mir eng um den Kragen. Ich Hyperventiliere
was meine Lungen hergeben. Kurz bevor ich zu Halluzinieren
beginne, schleudere ich dem Protagonisten die Puppe hin.
Mein Trick gelingt. Mangels geeigneter
Verifikationsbedingungen gibt das Versuchsobjekt seine
Handlung auf und lässt sich friedlich zurück in die Kiste zu
Schrödingers Katze führen.
Dieser
Versuch endet, wie üblich, mit einer Panoramaaufnahme, in
der ich, mit meiner Assistentin auf dem Beifahrersitz, in
den Sonnenuntergang hinein fahre.
Woher die Assistentin so plötzlich kommt. Ich verweise auf
oben genannte exemplarische Schlussfolgerung, in Bezug auf
die Präferenz für feminine Vornamen. Hier wäre eine kleine
Rückblende angebracht. Haben Sie sie nicht erkannt? Sie war
es die das Versuchsobjekt aus der Kiste gezerrt und wieder
dahin zurückgebracht hat. Ich leide, bedauerlicherweise, an
einer, äußerst seltenen,
Expektorations-Allergie,
wie sie aus meinen, irgendwo, ausliegenden Referenzen
entnehmen können. Immerhin, fast ein neues Wort, wenn der
Bindestrich nicht nötig wäre.
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